30.11.2023, Kultur & Freizeit

„Das Regime brauchte Arbeiter und Soldaten“

Andy Herrmann erklärte bei seinem Rundgang, wie die Nazis die Jugend im Sinne ihrer Ideologie erzogen.
Foto: Stadt Walldorf

Rundgang gibt Einblicke in die Umerziehung der Jugend zur Nazizeit

„Walldorf im Nationalsozialismus – Gleichschaltung der Jugend“ lautete der Titel des ersten von zwei Stadtrundgängen, die Andreas Herrmann im Rahmen seiner Buchveröffentlichung über den Nationalsozialismus in Walldorf anbot. Herrmann begrüße zahlreiche Teilnehmer zum Start an der Scheune Hillesheim und erklärte: „Es soll aufgezeigt werden, wie auch die Kinder und Jugend auf Linie gebracht wurden.“ Und so nahm Herrmann die Teilnehmer mit auf eine Reise in die 1930er Jahre und zeigte an verschiedenen Orten in der Innenstadt auf, wie die Jugend von den Nazis für ihre Propagandazwecke instrumentalisiert wurden.

Am Anfang stand die ehemalige Volksschule im Fokus, das Gebäude an der Drehscheibe beherbergt heute das Jugendzentrum JUMP. Dort gab Herrmann einen Einblick in das Schulleben, das ab den frühen 1930er Jahren von den Nazis ideologisch bestimmt wurde. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, lautete fortan das Credo für alle Schüler, das ihnen tagtäglich eingetrichtert wurde. Die Schule sei ein Element gewesen, um aus Kindern Nazis zu machen. Das wichtigste Element, um die Ideologie zu vermitteln sei aber die Hitlerjugend gewesen.  „Das Regime brauchte Arbeiter und Soldaten“, schilderte Andy Herrmann die Ziele der Erziehung. Der Schulalltag sei mit heute nicht zu vergleichen gewesen: Schläge mit dem Stock und Ohrfeigen gehörten zur Tagesordnung, ebenso tägliche Morgenappelle und Hitlergruß. Die Pausen im Hof bedeuteten, diszipliniert in Zweierreihen im Kreis zu laufen. Früh habe es Schikanen gegen Kinder der Opposition gegeben. Wie sehr auch die Lehrer in Walldorf dem Regime nahestanden, wurde nach Kriegsende deutlich: Nur zwei von zwölf Lehrern durften weiter unterrichten.

Der Marktplatz war die zweite Station des Rundgangs und laut Herrmann Schauplatz von Kundgebungen der Hitlerjugend. Dort berichtete er auch von den Repressionen gegenüber den Kirchengemeinden. Die katholische Kirche sei stärker betroffen gewesen, unter anderem wurden Gottesdienste gestört, der katholische Pfarrer schikaniert, die Jugend sei für solche Aktionen auch instrumentalisiert worden. An der dritten Station, am Zunftbaum, sprach Herrmann über die Vereine und Verbände. „Ohne die Partei ist nichts mehr gelaufen, es gab keine demokratischen Wahlen mehr“, schilderte Herrmann die Zustände nach der Machtergreifung durch die Nazis. Einige Walldorfer Vereine wurden aufgelöst oder verboten, Vereinseigentum beschlagnahmt. Als neuer Großverein wurde der „Turn- und Sportverein 02 Walldorf“ geschaffen, in dem andere Sportvereine aufgingen. Der Sport in den Vereinen habe primär dazu gedient, das Training zum Soldaten zu fördern, alles sei politisch und militärisch aufgeladen gewesen. „Der Sport war extrem wichtig für das Ziel, die Jugend zu formen und fit zu machen für den Krieg“, verdeutlichte Herrmann.

Am Schlossplatz im Oberdorf fanden zu jener Zeit alle Aufmärsche statt. Dort erfuhren die Teilnehmer mehr über die Funktion der Hitlerjugend, in der fast die gesamte Jugend schließlich organisiert ist. Auch der Bund Deutscher Mädel gehörte dazu. Dort wurden die jungen Frauen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet: Nähen, Stricken, Stopfen und Kochen standen auf dem Programm. Auch völkisches Liedgut spielte eine große Rolle bei der Erziehung der Jugend. An der letzten Station am Astorgarten stand die Zigarrenfabrik im Fokus der Erzählungen. Diese befand sich einst dort, wo heute die Post zu finden ist. Für Auszubildende gab es sogenannte Reichsberufskämpfe, mit denen die Leistungsfähigkeit der jungen Menschen im Betrieb getestet wurde. „Man konnte sich in Szene setzen“, berichtete Herrmann von der großen Aufmerksamkeit, die auf den Wettkämpfen lag. Auch in Walldorf seien diese ein ganz wichtiges Element gewesen, es gebe besonders viele Fotodokumente von diesen Veranstaltungen. „Alle Bereiche des Lebens waren durchdrungen“, zog Andy Herrmann sein Fazit am Ende des Rundganges, der den Teilnehmern neue und interessante Einblicke in eine Zeit offenbarte, die die meisten heute lebenden Menschen nicht mehr selbst erlebt haben.

Info: Am Sonntag, 3. Dezember, wird Andy Herrmann um 17 Uhr im Museum im Astorhaus sein Buch „Walldorf im Nationalsozialismus – Gleichschaltung, Verfolgung, Widerstand in einer nordbadischen Kleinstadt“ vorstellen.