01.08.2025, Startseite
Der Stimmungspegel bleibt ganz oben

In der ausverkauften Astoria-Halle legte das SAP Sinfonieorchester wieder einmal einen höchst unterhaltsamen Auftritt hin. Foto: Helmut Pfeifer
SAP Sinfonieorchester begeistert beim Benefizkonzert fürs Hospiz in der Astoria-Halle
Gute Entertainer wissen, wie sie ihr Publikum packen. „So ein bisschen wie Abba“, kündigt Sascha Kleinophorst das folgende Stück an. „One Night in Bangkok“, 1984 ein Nummer-eins-Hit für den Sänger Murray Head, wurde von den Abba-Komponisten Björn Ulvaeus und Benny Andersson für das Musical „Chess“ geschrieben. Es kommt in der Fassung des SAP Sinfonieorchesters bestens an, die Querflöte erntet sogar Szenenapplaus und doch ist vor allem die Erwartung auf mehr geweckt – auf mehr Abba, und zwar wirklich Abba. Kleinophorst kündigt dann auch schelmisch an, dass sich „das Orchester hinreißen lassen könnte, etwas von Abba zu spielen“. Aber nur, so die Einschränkung, wenn beim folgenden Song „so etwas wie Party-Atmosphäre entsteht“.
Herausforderung angenommen: Das Publikum in der mit 900 Besucherinnen und Besuchern voll besetzten Astoria-Halle geht begeisternd klatschend mit, als das von Kerstin Bauer gesungene „What a Feeling“ (im Original von Irene Cara aus dem Film „Flashdance“, 1983) Fahrt aufnimmt. Der Applaus sollte stürmisch genug sein, oder etwa nicht? „Das hört sich super an“, lobt die Sängerin und es kommt, was kommen muss: Abbas „Mamma Mia“ hält den Stimmungspegel ganz weit oben. Daran ändert sich nichts, als Kleinophorst die „schlechte Nachricht“ verkündet, dass beim Benefizkonzert für den Förderverein Hospiz Agape nach etwas mehr als zwei Stunden „das letzte Lied“ ansteht. „Das haben wir letzte Woche in einer Kirche gesungen und mussten danach in Weihwasser baden“, erklärt er gut gelaunt: „Time Warp“ aus dem Musical „The Rocky Horror Show“ (1973) beziehungsweise dem darauf folgenden Kultfilm („The Rocky Horror Picture Show, 1975) kommt heute allerdings nicht mehr skandalös wie zu seiner Entstehungszeit daher, sondern eher als weitere Aufforderung zur Party. Der Lohn sind stehende Ovationen für die beiden Solisten, das Orchester und seinen Dirigenten Jasper Lecon, der den Klangkörper souverän durch den Abend leitet.
„Total überwältigt“ ist schon ganz am Anfang in seiner Begrüßung Peter Schäfer, der Vorsitzende des Hospiz-Fördervereins. Das Konzert von der Seebühne im AQWA in die Astoria-Halle zu verlegen, sei den Verantwortlichen zwar schwergefallen, letztlich aber die richtige Entscheidung gewesen. „Wir wären jetzt alle ‚batschnass‘“, so Schäfers treffender Kommentar im Dialekt – pünktlich zu Konzertbeginn ist aus den einzelnen Regentropfen ein ordentlicher Schauer geworden. Er dankt dem Orchester, das seit vielen Jahren mit seinen Auftritten das Hospiz Agape unterstützt, den Helferinnen und Helfern des Vereins um Helmut Hibschenberger und vor allem dem Publikum. Ein Dank, in den Bürgermeister Matthias Renschler auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizes sowie den Förderverein für die wertvolle Arbeit einschließt. „27 Jahre Walldorfer Bürgermeisterschaft sind heute anwesend, das spricht für die Qualität des Orchesters und der Konzerte“, sagt Renschler mit Blick auf seine beiden Amtsvorgänger Christiane Staab und Heinz Merklinger, die sich im Publikum befinden.
Dann gehört die Bühne der Musik und vor allem dem SAP Sinfonieorchester unter Jasper Lecon, das heute unter dem Motto „Forever Young“ aufspielt, begleitet von einer Rockband, zwei Background-Sängerinnen und den beiden Solisten. Leroy Andersons „Belle of the Ball“ (1951) ist ein sinfonisch-beschwingter Auftakt, der Crossover-Gedanke des Konzerts wird beim folgenden Thema aus dem Film „Top Gun“ (1986) deutlich: Die Percussion lässt aufhorchen, die Gitarre setzt sich über die Streicher, die Melodie bewegt sich vom Heiteren zum Majestätischen und lässt das Heldenepos, das Tony Scotts Flieger-Drama erzählt, erahnen. Dann gibt das Schlagzeug das Tempo vor und das Orchester macht sich Kenny Loggins‘ Hit „Danger Zone“ (1986) aus demselben Soundtrack zu eigen, die Geigenbögen fliegen nur so über die Saiten, die Bläser setzen Akzente und Sascha Kleinophorst überzeugt mit seinem ersten Einsatz am Mikro. Er habe sich beim Singen „ziemlich jung gefühlt“, sagt er – bei der Erinnerung an die eigene Jugend dürfe man sich nur nicht damit beschäftigen, „wann die Songs geschrieben wurden“. Und so sind in Kleinophorsts augenzwinkernder eigener Einschätzung die Achtziger höchstens dreißig Jahre her …
Kostproben seines Stimmvolumens darf der Sänger im Survivor-Hit „Eye of the Tiger“ (1982) geben und auch hier wird in der Verbindung mit dem Orchester die gewünschte Wirkung erzielt: Der Song beschwört die Bilder des von Sylvester Stallone verkörperten Boxers Rocky aus dem dritten Film der Reihe herauf, wie er erst im Kampf mit sich selbst und dann gegen seinen Widersacher Clubber Lang allen Widerständen trotzt. Ein Raunen geht durch den weiblichen Teil des Publikums, als mit Whitney Houstons Version von „I will always Love you“ (1992, im Original von Dolly Parton) ein Nummer-eins-Hit aus dem Film „Bodyguard“ angekündigt wird. Damit hat Kerstin Bauer ihren ersten Auftritt des Abends, ihre glasklare Stimme rückt vor dem zunächst dezent aufspielenden Orchester in den Vordergrund und bleibt auch dort, als die Musiker deutlich an Lautstärke zulegen und den Popsong zur sinfonischen Ballade veredeln. Der Lohn ist schon jetzt tosender Applaus. „Vielen Dank für den tollen Empfang“, freut sich die Sängerin, „wieder in Walldorf zu singen – das ist jedes Mal etwas Besonderes“.
Die witzig-spritzige Titelmusik aus der Feder Ron Goodwins zu den Miss-Marple-Filmen (1961), das mit dem ihm eigenen Pomp für die sinfonische Bearbeitung bestens geeignete „The Sun always Shines on TV“ (1985) von A-ha – mit Kleinophorsts launigem Eingeständnis: „Ich hatte den Bravo-Starschnitt von A-ha an der Wand“ – oder der titelgebende Alphaville-Song „Forever Young“ (1984): Es geht nahtlos und stimmungsvoll weiter. „Eine tolle, gefühlvolle Orchesterfassung“, stellt Kerstin Bauer fest und niemand möchte ihr widersprechen. Arrangiert von Orchestermitglied Michael Strecker wagt man sich sogar in die elektronische Tanzmusik. Das Stakkato-artig Hypnotische von „Insomnia“ (Faithless, 1995) versetzt das Publikum auch auf den Sitzplätzen in Bewegung, das etwas beschwingt-harmlosere „Levels“ (Avicii, 2011) macht gleichfalls eine gute Figur. Kerstin Bauer freut sich bei Hearts „Alone“ (1987) über Frauenpower, Sascha Kleinophorst darf mit Johnny Logans einstigem Grand-Prix-Gewinner „Hold me now“ (1987) zu süßen Klängen die Pause einläuten. In der unterhält im Foyer eine kleine Truppe aus Orchestermitgliedern tatsächlich mit volkstümlicher Blasmusik. „Ich soll nicht Egerländer sagen“, kommentiert Kleinophorst – das Motto Crossover wird auf ein ganz neues Level gehoben, Musiker und Publikum haben ihren Spaß.
Mit Karl Jenkins‘ Palladio (1993) geben zunächst die Streicher nach der Unterbrechung den Ton an, ehe Kerstin Bauer beweist, dass es für die Jim-Steinman-Komposition „Total Ecplise of the Heart“ (1982) nicht unbedingt Bonnie Tylers Reibeisenstimme braucht. Klarer Fall: Die klassisch ausgebildete Sängerin kann vermutlich alles singen. Hier agieren beide Solisten erstmals im Duett, ehe mit Queens „Who wants to live forever“ (1986) aus dem Soundtrack zum Film Highlander Sascha Kleinophorst wieder das Thema der ewigen Jugend aufgreift und auch mal die E-Gitarre in den Vordergrund treten darf. Auffallend: Viele Stücke tragen schon im Original viel Pomp und Pathos in sich, was sie bestens für die Orchesterbearbeitung geeignet macht, aber auch oft hart an die Grenze zum Kitsch treibt. Die Begeisterung im Publikum beweist: Gut gemachter (Fast-)Kitsch kann ebenfalls schön anzuhören sein. Wie um die These zu widerlegen, gibt es mit dem Schmachtfetzen „Stay“ (1984) aus dem Fernseh-Mehrteiler „Cinderella“ einen kompletten Stilbruch. So viel Vergnügen Bauer und Kleinophorst als Bonnie Bianco und Pierre Cosso auch haben, drängt sich doch die Frage auf: Möchte sich wirklich noch mal jemand so jung fühlen, den Song so ganz ohne Fremdschämen gut zu finden?
Nach dem Abba- und Rocky-Horror-Finale geht es mit den stürmisch erklatschten Zugaben noch in deutschsprachige Gefilde: Udo Lindenbergs Rockballade „Horizont“ (1986) kreist um Themen wie Freundschaft und Tod, Herbert Grönemeyers „Zeit, dass sich was dreht“ (2006) erinnert an das Sommermärchen der damaligen Fußball-WM und erhält mit den drei Trommlern, die vor der Bühne Aufstellung nehmen, eine ganz eigene Note – ein gelungener Abschluss eines einmal mehr unterhaltsam-mitreißenden Konzerts. Und kaum ist es zu Ende, steigt schon die Vorfreude aufs nächste Mal: „Vielleicht klappt das mit dem Open Air ja nächstes Jahr“, meint Kleinophorst.
Armin Rößler