21.05.2025, Startseite
Fulminanter Schlusspunkt mit Cavallini

In der gut besuchten Laurentiuskapelle packte die Gäste ein musikalisches „Reisefieber“.
Foto: Helmut Pfeifer
„Reisefieber“ beim Konzert der Stadt
Für das vierte Konzert der Stadt war es dem Musikbeauftragten Dr. Timo Jouko Herrmann gelungen, vier Weltklasse-Musiker nach Walldorf zu holen. In der gut besuchten Laurentiuskapelle nahmen Irmela Boßler (Flöte), Christian Wetzel (Oboe), Andreas Lehnert (Klarinette) und Bernhard Kastner (Klavier) das Publikum mit auf eine spannende musikalische Reise. Der Abend unter dem Titel „Reisefieber“ war Herrmanns Vorgänger, dem im Januar verstorbenen, Prof. Gerald Kegelmann gewidmet, der jetzt im Mai 91 Jahre alt geworden wäre.
Herrmann zeigte sich in seiner Begrüßungsansprache dankbar für das unglaubliche Netzwerk, das Kegelmann mit seiner langjährigen Arbeit als Musikbeauftragter in Walldorf aufgebaut hatte, was sich in diesem Konzert exemplarisch zeigen würde. Das Ensemble hatte in dieser Besetzung noch nie hier gespielt, aber alle vier Musiker sind trotzdem schon einmal in Walldorf aufgetreten. Boßler und Kastner schon in den achtziger Jahren. Ende der Neunziger stellte Wetzel die Astor-Oboe vor, die heute im Heimatmuseum gezeigt wird. 2011 war Lehnert zu Gast bei den Walldorfer Musiktagen.
Die vier Musiker sind kein festes Ensemble, sondern haben sich explizit für diesen Abend gefunden. Die Besetzung mit Querflöte, Oboe, Klarinette und Klavier ist sehr ungewöhnlich. Es gibt zwar etliche Bearbeitungen, aber nur wenige Originalkompositionen für ein solches Ensemble. Genau solche seltenen Originale bekam das Publikum an diesem Abend zu hören. Der Titel „Reisefieber“ wurde deshalb gewählt, weil alle vier Künstler ständig auf Reisen sind und in der ganzen Welt Konzerte geben. Aber auch die Komponisten, die an diesem Abend vorgestellt wurden, pflegten viel zu reisen und sich dabei von ihren Reiseeindrücken musikalisch inspirieren zu lassen.
Den Auftakt machte Camille Saint-Saëns‘ „Caprice sur des Aires Danois et Russes“ op. 79. Interessante Informationen zu Komponisten und Werken lieferten die vier Musiker dem Publikum abwechselnd. Saint-Saëns wurde 1887 vom französischen Roten Kreuz nach Moskau eingeladen. Er nahm den Flötisten Paul Taffanel, den Oboisten George Gillet und den Klarinettisten Charles Turban mit und schrieb dort den Musikern seine Caprice quasi auf den Leib. Er selbst spielte bei der Uraufführung Klavier. Im Werk verarbeitete er sowohl russische als auch dänische Melodien, was wohl damit zu erklären ist, dass es ihm die dänische Prinzessin Maria Feodorovna und Frau von Alexander III. sehr angetan hatte.
Die Musiker zogen das Publikum augenblicklich mit einer Kaskade von sprudelnden und perlenden Tönen in ihren Bann. Hier konnten alle Instrumente ihre Möglichkeiten voll ausloten und die Künstler ihre Virtuosität unter Beweis stellen. Wunderbar lyrische, kantabel und einfühlsam gespielte Passagen, chromatische Läufe und fröhliche heitere Tänze wechselten sich ab. Immer wieder trat eines der Instrumente in den Vordergrund. Die Musiker ließen wunderbare Klangfarben entstehen und das Publikum über die große Klangvielfalt, die diese vier Instrumente erzeugten, staunen. Das Zusammenspiel gelang mühelos und organisch. Hier wurde gemeinsam gefühlt und geatmet. Alle Musiker spielten mit viel Leidenschaft und großer technischer Präzision.
Auch das „Trio Romantico“ von Leonardo De Lorenzo, ein reines Bläser-Stück, fand großen Anklang. Der italienische Komponist und Flötist war ebenfalls viel auf Reisen, vor allem in den USA und in Südafrika. Sein Trio klang romantisch und erinnerte fast ein bisschen an Filmmusik. Sehr beeindruckend erklang Darius Milhauds Sonate op. 47 für Flöte, Oboe, Klarinette und Klavier. Große Anforderungen stellte dieses komplexe und sehr modern klingende Werk von 1918 mit seiner Bi- und Polytonalität – dabei laufen zwei oder mehrere Tonarten parallel nebeneinander – an die Musiker, die alle bravourös gemeistert wurden. Viele südländische Einflüsse verarbeitete Milhaud in seiner Sonate. Er begleitete seinen Freund, den Dichter Paul Claudel, der als französischer Botschafter nach Brasilien entsandt wurde. In Rio de Janeiro ließ er sich von dem pulsierenden Stadtleben und der lateinamerikanischen Volksmusik inspirieren. Ruhig, getragen begann der erste Satz, während das Klavier einen sehr dunklen, tiefen Klangteppich webte. Jedes Blasinstrument tauchte immer wieder mit seinen ganz eigenen Klangfarben solistisch aus dem Gesamtklang auf. Man glaubte, vage Anklänge an Ravel zu hören. Fröhlich, beschwingt, sehr rhythmisch und mit etlichen Trillern gespickt erklang der zweite Satz.
Im dritten Satz ging es dann zur Sache. „Emporté“ – hitzköpfig, aufbrausend – hatte ihn Milhaud betitelt. Man glaubte, heftiges Geschnatter, hitzige Wortgefechte und Straßenlärm zu hören. Alles schien durcheinander zu laufen und in Aufruhr zu sein. Man konnte sich gut eine Straßenszene in der lauten brasilianischen Großstadt vorstellen. Es klang disharmonisch und sehr polytonal, was unglaublich modern für die damalige Zeit war. Die vier Musiker brachten alles mit großer Virtuosität auf den Punkt und konnten die jeweiligen Stimmungen wunderbar einfangen. Nachdenklich und melancholisch endete der Schlusssatz. Ein langsamer Trauermarsch durchzog fast das ganze Stück, unterbrochen von spitzen Tönen, die wie Schreie klangen. Alles wirkte sehr düster und dunkel und endete ruhig mit einigen aushauchenden Klaviertönen. Vielleicht war dies der Blick Milhauds auf das Kriegsgeschehen in Europa während des ersten Weltkrieges.
Florent Schmitts Sonatine en trio op. 85 von 1934 konnte anschließend die aufgewühlten Gemüter wieder beruhigen. Der Komponist aus Lothringen war sehr den musikalischen Formen des 19. Jahrhunderts zugewandt. Ebenso galt sein Interesse der Barockmusik. Sein charmantes Werk, obwohl viel später als Milhauds Sonate entstanden, klingt bei Weitem nicht so modern. Es hat die Form einer klassischen Sonatine. Klavier, Flöte und Oboe schufen ein wunderbares, reizendes Klanggemälde. Einem kurzen Allegro, eröffnet vom Klavier mit einem neobarocken Thema, folgten flirrende Läufe der Blasinstrumente. Der langsame Satz mit seinem nostalgischen Thema wurde wunderbar kantabel von der Flöte interpretiert, bevor das lebhafte Finale einen grandiosen Schlusspunkt setzte.
Gute Laune verbreitete Ernesto Cavallinis Terzetto für Flöte, Oboe, Klarinette und Klavier. Der italienische Komponist und virtuose Klarinettist war ebenfalls viel auf Reisen. Besonders die Klarinette konnte hier virtuos glänzen. Wunderbar harmonierten die Musiker miteinander und bestachen durch gemeinsame Agogik und eine fein gestaltete Dynamik. Alles klang heiter, luftig und spielerisch leicht. Im schnellen Finale staunte man, wie viele Töne die Bläser in so kurzer Zeit spielen konnten, scheinbar ohne Luft zu holen. Tatsächlich hatten sie keine Zeit dazu, wie Klarinettist Lehnert später erklärte. Ohne die Technik der permanenten Atmung – gleichzeitig spielen und atmen – wäre dies gar nicht möglich gewesen. Beeindruckend setzte die rasante Musik mit einem atemberaubenden Accelerando einen fulminanten Schlusspunkt. Das Publikum zeigte sich begeistert und sparte nicht mit Applaus. Als Zugabe gab es noch eine Bearbeitung von Schuberts „Rosamunde“ mit auf den Nachhauseweg.
Carmen Diemer-Stachel