14.05.2025, Kultur & Freizeit
Zwischen Applaus und Anfeindungen

Franziska Böhler las aus ihrem aktuellen Buch „I Still Care“.
Foto: Stadt Walldorf
Franziska Böhler sprach über die Schattenseiten des öffentlichen Engagements
„Wir hatten noch nie jemanden im Haus, der über Pflege geschrieben hat“, eröffnete Barbara Grabl eine „besondere Lesung“ mit Franziska Böhler in der Stadtbücherei. „Ein Thema, das jeden angeht“, zeigte sich die Leiterin der Stadtbücherei überzeugt. Dies wurde zumindest durch den großen Zuspruch zur Veranstaltung bestätigt.
Franziska Böhler arbeitet seit 2007 als Krankenschwester und hat bereits ihr zweites Buch über ihren beruflichen Alltag geschrieben. Es trägt den Titel „I Still Care“ und beschreibt, wie sich die vergangenen Jahre seit dem Erscheinen ihres ersten Buches und Bestsellers „I’m A Nurse“ sowie ihr öffentliches Auftreten als Pflegeaktivistin auf ihr eigenes Leben ausgewirkt haben.
Schonungslos berichtete sie bei ihrem Auftritt davon, wie sie an ihren eigenen Ansprüchen – die beruflichen Rahmenbedingungen für Pflegerinnen und Pfleger zu verbessern – sowie an teils hasserfüllten Reaktionen auf ihre öffentliche Präsenz zu scheitern drohte. „Ich gebe vieles aus meinem Leben preis“, sagte Böhler, die einen reichweitenstarken Instagram-Kanal mit rund 233.000 Followern betreibt. „Ich will, dass die Menschen wissen, dass ich eine von ihnen bin – mit stinknormalen Problemen.“ Das habe jedoch auch Schattenseiten: „Den Hass kann man sich nicht vorstellen, bis man ihn selbst abkriegt.“
Böhler las mehrere Passagen aus ihrem Buch vor und sprach ausführlich über die Entwicklung ihres Lebens, das durch Social-Media-Beiträge über ihren Arbeitsalltag während der Pandemie und das damit einhergehende mediale Interesse zunehmend in die Öffentlichkeit rückte. Kurz nachdem 2021 ihr erstes Buch „I’m A Nurse“ erschienen war, erlitt sie ihre erste Panikattacke – im Auto. „Ich dachte, ich muss sterben“, schilderte Böhler diesen dramatischen Moment. Es sei die erste von vielen Panikattacken gewesen. Einerseits habe sie zunächst die Aufmerksamkeit genossen, vor allem, weil dadurch ihre Themen in den Fokus rückten.
Sie habe sich aber zunehmend überfordert gefühlt, auch weil sie auf den wachsenden Hass nicht vorbereitet gewesen sei. Auf dem Höhepunkt habe sie sich so gefühlt, als 2021 auf Initiative des Magazins Stern beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags eine Petition mit dem Titel „Pflege braucht Würde“ eingereicht wurde. Diese forderte eine Gesundheitsreform für eine bessere Pflege zum Schutz der Pflegebedürftigen und war von über 300.000 Menschen unterzeichnet worden. Zu den Unterstützern der Petition zählten zahlreiche prominente Persönlichkeiten – darunter auch Franziska Böhler.
In der Folge habe es jedoch nur „Pflegereförmchen“ gegeben, die nichts Wesentliches an den Zuständen in der Krankenpflege verändert hätten. Böhler beschrieb dies als ein „Gefühl von Machtlosigkeit“, das sich danach bei ihr eingestellt habe. Auch die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2021 für die Sondersendung „Pflege ist NichtSelbstverständlich“ von Joko & Klaas LIVE, an der Böhler mitgewirkt hatte, habe daran nichts geändert.
Zusammen mit dem Gesundheits- und Krankenpfleger Alexander Jorde durfte sie den Preis auf der Bühne entgegennehmen – das Publikum habe jedoch verhalten reagiert, was laut Böhler in der Fernsehaufzeichnung zurechtgeschnitten worden sei. Über den roten Teppich sei man „wie zwei Hunde gejagt“ worden; worum es eigentlich gehen sollte, sei kaum noch thematisiert worden. „Ein unangenehmer Abend“, blickt Böhler heute zurück.
Die Pflegeaktivistin sprach auch viel über den alltäglichen Hass von Menschen, „die ich nicht kenne“.
Auslöser seien Äußerungen zur Impfung beziehungsweise Impflicht im medizinischen Sektor während der Corona-Zeit gewesen, die von manchen Menschen (auch bewusst) fehlinterpretiert worden seien. In der Folge sei der Hass über sie hereingebrochen: Menschen hätten sie bis an ihren Arbeitsplatz verfolgt, sie belästigt und vor ihr ausgespuckt. Auch zu Hause sei sie aufgesucht worden, ihr Auto sei zerkratzt worden. „Das macht etwas mit einem.“ Zu diesem Zeitpunkt seien ihre beiden Kinder noch klein gewesen.
Schließlich habe sie sich professionelle Hilfe gesucht, sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und ihre Prioritäten neu geordnet. „Ich habe nicht mehr den Anspruch, diese Welt zu retten“, sagte Böhler. Auf Social Media sei sie weiterhin präsent, weil es ein wichtiger Zugangsweg für ihre Themen sei. Dafür lehne sie jedoch viele Talkshow-Anfragen ab. „Ich muss nicht mehr alles machen.“ Lieber gehe sie zu Lesungen an Schulen und in Ausbildungseinrichtungen.
Denn trotz der widrigen Umstände – auch das machte Böhler klar – liebe sie ihren Beruf. Nach der Lesung beantwortete Franziska Böhler noch Fragen aus dem Publikum und zeigte sich sichtlich gerührt über die anerkennenden Worte einer Frau, ebenfalls im medizinischen Bereich tätig, für die Böhlers öffentliches Engagement gerade während der Corona-Zeit ein wichtiger Rückhalt gewesen sei.
Mit sich selbst, so Böhler abschließend, sei sie inzwischen im Reinen: „Ich bin dabei, meine Kraft zurückzugewinnen und wieder das Gute zu sehen.“ Dafür war ihr der wohlwollende Applaus des Walldorfer Publikums sicher.