09.05.2023, Kultur & Freizeit

Ein Virtuose im Dienst der Musik

Victor Nicoara begeistert mit „Busoni – Meister der Polyphonie“.
Foto: Pfeifer

Konzert der Stadt: Victor Nicoara begeistert mit „Busoni – Meister der Polyphonie“

Der italienisch-deutsche Komponist Ferruccio Busoni (1866-1924) ist vielen meist nur noch als Bearbeiter und Herausgeber von Werken Johann Sebastian Bachs ein Begriff. Der 1984 in Bukarest geborene Pianist und Komponist Victor Nicoara ist einer der erfahrensten Busoni-Interpreten unserer Zeit und setzt sich schon seit Jahren mit Hingabe für die längst fällige Neubewertung dieses außergewöhnlichen Künstlers ein. Das Programm, mit er sich im Rahmen der Konzerte der Stadt Walldorf präsentierte, bestach sowohl durch kluge Dramaturgie als auch durch Vielgestaltigkeit.

Zu Beginn des Abends begrüßte der Walldorfer Musikbeauftragte Dr. Timo Jouko Herrmann das Publikum in der Laurentiuskapelle und freute sich, dass sein Vorgänger Prof. Gerald Kegelmann es sich nicht hatte nehmen lassen, den Ausklang seines 89. Geburtstages mit dem Besuch des städtischen Konzertes zu begehen.

Am Anfang des Konzertprogramms standen Busonis „Stücke zur Pflege des polyphonen Spiels“, die zum einen die Liebe des Komponisten zur Musik Johann Sebastian Bachs belegen, zum anderen aber in der Ausweitung der spätromantischen Harmonik auch die Modernität des Künstlers aufzeigen. Die Plastizität und der Farbenreichtum, mit denen Victor Nicoara diese charakterlich so vielseitigen Stücke zum Klingen brachte, waren schlichtweg atemberaubend. Die hohen Anforderungen an den Interpreten meisterte der Pianist mit Bravour. Er nahm überhaupt an diesem Abend als durchweg authentischer und ernsthafter Künstler für sich ein. Einstudierte, übertrieben-showmännische Gesten sind ihm fremd, seine Fertigkeiten als Virtuose stellt er ganz in den Dienst der Musik. Selbst schwierigste Passagen gestaltete er ganz in sich ruhend und scheinbar mühelos.

Auf Busonis Zyklus von Klavierstücken folgte ein Bouquet aus fünf kurzen zeitgenössischen Kompositionen, die sich allesamt auf Busonis Musik und Klaviertechnik beziehen. Nicoara ließ diese Stücke ganz organisch und ohne Unterbrechungen aufeinander folgen, nachdem er auf äußerst sympathische Weise in die Werke eingeführt hatte. Den Anfang machte das eigens für Nicoara komponierte Stück „Pastorale, ein kurzes Stück zur Pflege der Arten“ des Briten Benedict Mason, der sich darin thematisch auf das letzte der zuvor gehörten Busoni-Werke bezieht. Besondere Klangeffekte werden hier durch den differenzierten Gebrauch des Sostenuto-Pedals erreicht, irrlichternde Tongirlanden umflackern immer wieder die leise nachhallenden Akkorde. Die folgende „Nocturne Canonique“ des Australiers Larry Sitsky bezieht sich kompositorisch auf die zweite Nummer der vorangegangenen Busoni-Stücke. Hier konnte Nicoara besonders durch sein feines Legato-Spiel glänzen. Der Amerikaner Ronald Stevenson erwies Busoni mit seiner ebenso kurzen wie brillanten Fuge über ein zwölftöniges Thema aus dessen Kurzoper „Arlecchino“ die Referenz. Victor Nicoara brachte dieses Kabinettstück mit Spielwitz und beeindruckend flinken Fingern zum Klingen.

In einem Arrangement des Interpreten erklang nun das Intermezzo aus Busonis Oper „Doktor Faust“, das im Original eigentlich einer Orgel anvertraut ist. Nicoara gelang es mit viel Klanggespür, am Flügel eine sakrale Atmosphäre heraufzubeschwören – bisweilen glaubte man den fernen Klang von Kirchenglocken wahrzunehmen. Den Abschluss des ersten Programmteils markierte eine Eigenkomposition des Pianisten, das Klavierstück „Nach Weill“, in dem ein prägnantes Thema aus Kurt Weills während seiner Studien bei Busoni entstandenen 1. Sinfonie kunstvoll verarbeitet wird.

Nach einer kurzen Pause folgte im zweiten Teil des Programms Busonis monumentale „Fantasia contrappuntistica“ in einer Neufassung des Interpreten. Nicoara beschrieb dieses Werk in seiner mit Klangbeispielen angereicherten Einführung sehr treffend als klingenden Palast, in dem die eingeflochtenen Zitate aus Bachs „Kunst der Fuge“ wie kostbare Reliquien aufbewahrt und verehrt werden. Mit beeindruckendem technischem Können und kluger Klangdramaturgie präsentierte Nicoara dieses gewaltige Werk. Mächtige Klangsäulen wuchsen da unter seinen Händen empor, choralartig schwebende Tonwolken standen in Kontrast zu dunkel hallenden Abgründen. Immer wieder leuchteten in den opulenten Klanggebilden die dank Nicoaras herausragender Anschlagskultur stets gut wahrnehmbaren Bach-Fragmente auf. Der Pianist wusste dabei seine Kraft so perfekt zu dosieren, dass der Flügel in der Laurentiuskapelle stets ausbalanciert klang. Sein Pianissimo-Spiel, das selbst im höchsten Diskant noch kantable Wärme verströmte, verdient daneben besonders hervorgehoben zu werden. „Bravissimo“, tönte es aus dem Publikum nach dem letzten Akkord der monumentalen Fantasie und sofort brach sich begeisterter Applaus seine Bahn.
Als Zugabe – „um etwas herunterkommen“ – spielte der Künstler Johann Sebastian Bachs Invention Nr. 9 f-Moll mit feiner Artikulation und großer Phrasierungskunst und entließ das Publikum beseelt in den warmen Frühsommerabend.